10 Irrtümer über das Reisen mit Kleinkindern
Die meisten Eltern sind sich einig, dass Reisen mit Schulkindern oder Teenagern eine sinnvolle oder zumindest machbare Sache ist.
Was das Reisen mit Kleinkindern angeht, scheinen aber vor allem negative Klischees vorzuherrschen. Für die meisten davon gibt es reale Gründe, doch werden sie meist pauschalisiert und drängen die positiven Aspekte in den Hintergrund.
Horrorgeschichten verbreiten sich einfach schneller als schöne und haben die Tendenz, sich zu verselbständigen. “ Lena muss den ganzen Flug durchgebrüllt haben, stell dir vor, wie schrecklich!“ ist ein spannenderes Spielplatz-Thema als „“Müllers hatten so einen schönen Urlaub mit Luis, er war ganz entspannt.“
Wenn Eltern, die früher einmal reisefreudig waren, wegen solcher Geschichten jahrelang daheim bleiben, ist das einfach nur schade, für Eltern wie Kinder. Deshalb wollen wir hier einmal 10 verbreitete negative Vorstellungen über das Reisen mit Kleinkindern genauer unter die Lupe nehmen, um ihnen hoffentlich ihren Schrecken zu nehmen.
1. Kleinkinder sind auf Reisen anstrengender als daheim
„Das wäre mir viel zu anstrengend!“ ist der absolute Klassiker unter den Reaktionen auf unsere Reisen. „Klar“, antworte ich dann, „es ist verdammt anstrengend. Aber zuhause etwa nicht?“
Nun ist „anstrengend“ eine sehr subjektive Kategorie. Ich persönlich bin auf Reisen immer sehr viel weniger von meinen Kindern gestresst als daheim und glaube, dass es den meisten Eltern so gehen wird, sobald sie es ausprobieren. Zwar ist man 24 Stunden zusammen und muss in fremder Umgebung oft stärker auf die Kleinen aufpassen als daheim. Dafür fallen Zeitdruck und Alltagsstress weg, die Kinder sind mehr draußen und dadurch ausgeglichener. Die Entspannung der Eltern überträgt sich auf die Kleinen.
Vielen Eltern ermöglicht erst der Abstand vom durchgetakteten Alltag, sich in Muße auf ihr Kind einzulassen, und dafür sind Kinder unendlich dankbar.
Gerade wenn ihr einen kleinen Schreihals oder Haustyrannen daheim habt, solltet ihr ihm einmal die Chance geben, sich losgelöst vom Alltag einmal von einer ganz anderen Seite zu zeigen.
Je nach Reiseziel kann es auch passieren, dass ihr unerwartete Unterstützung von den Einheimischen bekommt. In Asien etwa können Eltern oft in Ruhe essen, während die dankbaren Kleinen ungefragt von netten Kellnern oder Kellnerinnen bespaßt werden.
2. Mit Kleinkindern braucht man ein kinderfreundliches Reiseziel
Wenn „kinderfreundlich“ bedeuten soll „möglichst nah, möglichst alles wie daheim, mit Kinderbetreuung und -bespaßung“, dann kann ich nur widersprechen.
Erstens fahre ich mit meinen Kindern in Urlaub, um mit ihnen zusammen etwas Neues zu erleben und nicht, um sie loszuwerden an irgendwelche Aktivitäten, die es auch zuhause gibt. Wer braucht Spielpätze, wenn es Strände, wilde Natur und fremde Kultur gibt? Zweitens können Fernziele kinderfreundlicher sein als Nahziele (siehe 6.).
Drittens ist die schönste Form der Kinderfreundlichkeit eine Bevölkerung, die Kinder herzlich und selbstverständlich in den Alltag integriert. Dies erleichtert euch den Urlaub sehr viel mehr als der tollste Kinderclub. Eine solche Kinderfreundlichkeit findet man in vielen Ländern, die nicht unbedingt als klassische Familienreiseziele gelten, z.B. in der arabischen Welt und in Asien. Es lohnt sich also, die gängige Definition von „kinderfreundlich“ einmal kritisch zu hinterfragen.
Und viertens sind wir bessere, zufriedenere Eltern, wenn wir unsere eigenen Bedürfnisse nicht ganz aus den Augen verlieren. Deshalb sollten wir ein Reiseziel wählen, das uns glücklich macht.
Glückliche Eltern= Glückliche Kinder.
3. Reisen ist zu gefährlich für Kleinkinder
Und auch hier wieder die Gegenfrage: Das Leben zuhause nicht? Verständlicherweise wollen Eltern ihre Kinder vor allen Gefahren beschützen. Doch unsere Ängste stehen oft in keinem Verhältnis zur real existierenden Gefahr. Mir kommt es oft so vor, als ob das Gefährdungsgefühl von Eltern ganz besonders subjektiv und verzerrt ist. Tatsache ist, dass die meisten Kinderunfälle im Haushalt passieren, vor allem in der Küche.
Die potenziellen Gefahren unterwegs sind andere als daheim und verunsichern Eltern oft auch deshalb in unnötigem Maße. Natürlich ist es sinnvoll, die Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes zu studieren. Doch bevor ihr die Wahl eures Reiseziels davon abhängig macht, sucht nach genauen Statistiken oder fragt euch einfach mit gesundem Menschenverstand, wie groß das Risiko tatsächlich ist, von einem Erdbeben, Tsunami oder Terroranschlag heimgesucht zu werden. Mit Sicherheit ist es sehr viel geringer, als daheim vom Auto überfahren zu werden. Von politischen Unruhen sind Touristen nur in den seltensten Fällen betroffen.
Auch raubt kaum jemand eine Familie mit kleinen Kindern aus, und Einheimische sind oft eifrig darauf bedacht, kleine Touristen vor jeglicher Unbill zu beschützen. In der Türkei etwa konnte sich keine Biene oder Wespe unseren Kindern nähern, ohne dass aufmerksame Türken herbei sprangen, das Tier zu vertreiben.
In vielen Kulturen (z.B. asiastischen) fühlt man sich ganz selbstverständlich auch für die Kinder anderer Leute verantwortlich. Die Anonymität und das Desinteresse an Kindern, wie man sie in deutschen Städten erlebt, sind in den meisten Ländern unbekannt. Dies ist ein zusätzlicher Sicherheitsfaktor auf Reisen.
4. Kleinkinder werden auf Reisen öfter krank
Auch für diese weit verbreitete Annahme gibt es keine Beweise, und auch die Erfahrungswerte sprechen dagegen. Wenn ihr das nächste Mal eine Krankheitsgeschichte aus dem Urlaub hört, fragt doch mal nach, wie oft das betreffende Kind zuhause flach liegt. Kindergartenkinder machen in Deutschland durchschnittlich 8-9 Infekte pro Jahr durch.
Vergesst nicht: Nirgendwo verbreiten sich Viren so schnell wie in Kitas, und dieser Ansteckungsherd fällt auf Reisen weg. Zudem ist kaum etwas der Gesundheit eurer Kinder förderlicher als viel frische Luft, und die gibt es im Urlaub mehr als zuhause (vor allem, wenn ihr dem deutschen Winter entflieht).
Eltern verunsichert oft die Angst vor dem Unbekannten: tropische Krankheiten, Zweifel an der Qualität der medizinischen Versorgung. Genaue Recherche vorab, das Gespräch mit dem Kinderarzt und eine ordentliche Reiseapotheke beruhigen hier ungemein.
Auch in Entwicklungsländern gibt es mindestens ein Krankenhaus von internationalem Standard, manchmal ist die Versorgung gar besser als daheim (z.B. in Singapur). Wir wurden unter anderem auf Bali schon hervorragend behandelt, ebenso in Peru, Thailand und Südafrika.
5. Fliegen mit Kleinkindern ist der Horror
Kann sein, muss aber nicht. Eltern haben eine Menge Möglichkeiten, einen langen Flug mit Kleinkind erträglicher zu gestalten. Vor allem die Buchung eines Nachtflugs ist entscheidend: Irgendwann wird jedes Kind nachts müde, und Flugzeuge wirken mit ihrem gleichmäßigen Gebrumme besonders auf kleine Kinder ähnlich einschläfernd wie Autos. Wer das richtige Beschäftigungsmaterial dabei hat, ist außerdem klar im Vorteil. Auch ein altersgemäß bespielter iPod kann Wunder wirken.
Und wenn das Kind doch mal brüllt, ist das auch kein Weltuntergang. Die meisten Passagiere reagieren in der Regel verständnisvoll. Wir haben auch schon erlebt, dass Umsitzende (die sich ja auch oft langweilen im Flugzeug) unsere Kinder unterhalten haben. Das ist für Kinder so interessant, dass sie meist schneller zu weinen aufhören als bei den Eltern. Auch das Kabinenpersonal ist oft hilfsbereit.
6. Je näher das Reiseziel, desto besser
Dass lange Anreisen strapaziös für Eltern wie Kinder sein können, lässt sich nicht leugnen. Doch viele Fernziele lassen sich mit dem Flugzeug sehr viel schneller erreichen als ein vermeintliches Nahziel mit dem Auto.
Abgesehen davon, dass Autofahrten noch anstrengender sein können als Flüge (Stau!), spricht vor allem das bessere Wetter für eine Fernreise mit dem Flugzeug. Gerade Kleinkinder genießen einen Urlaub am meisten, wenn sie den ganzen Tag draußen sein können. In 6-8 Stunden Flug kann ich einem nasskalten deutschen Frühling entfliehen. Dieselbe Zeit im Auto bringt mich nur ins möglicherweise ebenso verregnete Italien. Regentage werden mit Kleinkindern schnell zur Nervenprobe oder zwingen einen zu Aktivitäten, auf die man in seinem hart erarbeiteten Urlaub wirklich gar keine Lust hat (Indoorspielplatz – mein absoluter persönlicher Urlaubsalbtraum!)
Den gefürchteten Jetlag verkraften Kleinkinder übrigens oft sogar leichter als Erwachsene.
Bleibt nur noch das Problem mit den Kosten.
7. Fernreisen mit Kindern sind unbezahlbar
Fliegen mit Kindern ist ab dem 2.Lebensjahr tatsächlich frustrierend teuer. Unbezahlbar muss es trotzdem nicht sein. Sind die Kinder noch nicht schulpflichtig, ist man flexibler in der Terminwahl und erhält so sehr viel günstigere Tarife als in den Schulferien. Später wird es definitiv noch teurer! Ein gewichtiges Argument gegen die verbreitete „Wir warten, bis sie alt genug sind“-Einstellung.
Dazu kommt, dass die übrigen Nebenkosten wie Unterkunft, Verpflegung oder Mietwagen außerhalb Europas oft sehr viel niedriger sind. (Die Kosten einer Liegestuhlmiete in Italien dürften weltweit kaum zu toppen sein…) Je länger die Reise, desto günstiger wird sie dadurch im Verhältnis. Das Sparpotenzial bei Unterkünften ist so groß, dass ich darüber einen eigenen Artikel verfasst habe. Kleinkinder zahlen oft keinen oder stark ermäßigten Eintritt und können bei den Eltern oder in einem (fast immer kostenlosen) Beistellbett schlafen. Und macht euch spaßeshalber einmal bewusst, was ihr daheim so ausgebt. Die Lebenshaltungskosten in deutschen Großstädten gehören zu den höchsten weltweit.
Noch günstiger wird es bei Langzeitreisen ab ca. 2 Monaten, wenn ihr eure Wohnung zwischenvermieten und das Kind von der Kita abmelden könnt.
8. Kleinkinder brauchen ihre vertraute Umgebung
Was Kleinkinder vor allem brauchen, ist die Nähe und Aufmerksamkeit ihrer Eltern. Wo sie die erhalten, ist ihnen relativ egal. Auch lassen sich viele vertraute Rituale auf Reisen weiter praktizieren. Das Lieblingskuscheltier und vielleicht das eigene Kopfkissen vermitteln Vertrautheit.
Kleinkinder haben auch noch keine so festen sozialen Beziehungen wie ältere Kinder, dass sie ihre Kindergartenfreunde oder Erzieher vermissen würden. Sie fühlen sich dort geborgen, wo ihre Eltern sind. Wenn die Eltern dann im Urlaub noch besonders entspannt sind und Zeit für sie haben, dann geht es den Kleinen besonders gut. Je kleiner ein Kind ist, desto weniger spielen örtliche Gegebenheiten eine Rolle. Viele Eltern entdecken erst auf Reisen, wie anpassungsfähig ihre Kleinen sind.
Ich persönlich habe noch nie von einem Kleinkind gehört, das auf Reisen Heimweh hatte. Dieses Phänomen tritt anscheinend erst dann auf, wenn sie nicht mehr so stark auf die Eltern fixiert sind.
9. Reisen mit Kleinkindern sollten nicht zu lange sein
Aus den gerade genannten Gründen spricht auch überhaupt nichts gegen Langzeitreisen mit Kleinkindern. Im Gegenteil: Da die An- und Abreise meist der anstrengendste Teil für die Kleinen ist, sollte sich diese auch lohnen. Bei einer Flugreise ist dies auch finanziell sinnvoll, da der Flug mit Abstand das Teuerste ist und die anderen Kosten proportional zur Länge der Reise sinken.
Genau wie daheim dauert auch auf Reisen mit Kleinkindern alles sehr viel länger. Für jeden Spaziergang und jede Besichtigung sollte man die 1,5 -2fache Zeit einplanen. Außerdem sollte man mit Kleinkindern Pausentage einlegen und nicht allzu oft die Unterkunft wechseln, damit sie sich nicht ständig umgewöhnen müssen. Wer also eine Rundreise plant oder nicht ausschließlich am Strand liegen möchte, profitiert enorm von einer längeren Reisedauer.
Auch brauchen viele Erwachsene eine Woche oder mehr, bis sie richtig vom Alltag abschalten und sich voll und ganz auf ihr Kind einlassen können. Auch werdet ihr die Erfahrung machen, dass das langsamere Reisen mit Kleinkindern sehr viel intensiver sein kann und euch ein Land auf andere Weise näherbringt als ohne Kinder.
Und zuletzt noch ein ganz pragmatischer Grund: Mit dem Schuleintritt werden Reisen über 6 Wochen Dauer für viele Jahre problematisch bis unmöglich. Deshalb: Wenn nicht jetzt, wann dann?
10. Kleinkinder haben nichts vom Reisen
Oh doch! Und zwar nicht zu wenig:
- entspannte Eltern
- schönes Wetter zum Draußenspielen
- echte Kinderfreundlichkeit und Herzlichkeit von Fremden erleben
- durch neue Erfahrungen neue Seiten an sich entdecken (Selbstbewusstsein!)
- Eltern, die Zeit für sie haben
- Natur, die es daheim nicht gibt (Meer, hohe Berge, Dschungel, Wüste…)
- die Möglichkeit, als Geschwister zusammenzuwachsen
- den Kindergarten-Viren für eine Weile entfliehen
- die Familie als sicheren Hafen in fremder Umgebung erfahren
- Kontakt zu Kindern, die anders leben und spielen
- spielerisch und ganz von alleine Neues lernen
- lebenslange gemeinsame Erinnerungen (und die Fotos dazu)
Braucht ihr noch mehr Ermutigung? Dann lest z.B. hier weiter.
13. Juli 2015 at 11:56
Meine, jetzt 3jährige süße Enkelin, fliegt, schon seitdem sie 4 Monate alt war, mit ihren Eltern in den Urlaub. Zuerst war es ein Kurzflug und die zweite Flugreise ging nach Asien, also ein Langstreckenflug, der problemlos von ihr und den Eltern gemeistert worden ist. Seither hatte sie jedes Jahr mit Freude einen Langstreckenflug (Nachtflug) mit ihren Eltern, auch Omi und Opi gemacht, und sie erzählt, immer mit viel Freude, wie toll der Urlaub und das Fliegen war/ist . Mit Krankheiten, durch Hitze oder fremdländisches Essen gab es auch überhaupt keine Probleme!
13. Juli 2015 at 22:30
Ein gelungener Artikel zum Thema ! Wir sind mit unseren beiden Kindern (mittlerweile 1 Jahr und 3 Jahre) seit frühesten Babytagen unterwegs und möchten keine unserer Reisen mit den Kleinen missen. Insbesondere die Elternzeit bietet sich zum Reisen an, aber auch sonst sollten sich bietende Gelegenheiten genutzt werden, um den Kindern die Welt zu zeigen.