Yucatan: Fiestas, Farben und fantastische versunkene Städte
Drei Wochen ist unsere große Reise nun schon alt, gemessen an ihrer Gesamtdauer also gewissermaßen noch ein Baby. Aber ein Baby, das schon viel erlebt hat für sein Alter. So dicht gesät ist Sehenswertes hier im Süden dieses grandiosen Landes Mexiko, dass man selbst bei unserem kindgerechten (sprich: äußerst gemäßigten) Reisetempo permanent mit neuen Eindrücken gefüttert wird.
Schon allein die Farben! Selten war ich einem bunteren Land als Mexiko. Manche Orte erwecken den Eindruck, es gäbe hier ein Gesetz gegen das Streichen benachbarter Häuser in der gleichen Farbe. (Seit Jahren frage ich mich übrigens, ob in Deutschland eigentlich ein gegenteiliges Gesetz existiert.)
Natürlich haben wir auch die klassischen Sehenswürdigkeiten nicht ausgelassen. Chichen Itza (die meistbesuchte all der zahllosen archäologischen Stätten Mexikos und 2007 zu einem der neuen „Weltwunder“ gewählt) überwältigte uns mit der Perfektion und den Ausmaßen seiner Architektur, allerdings auch mit den Ausmaßen seiner Touristenhorden (die nur deshalb auf unseren Fotos nicht zu sehen sind, weil diese um 8 Uhr morgens entstanden).
Hier wurde auch die Kluft zwischen kindlichen und erwachsenen Interessen mal wieder deutlich. 99% aller Besucher bestaunten ehrfurchtsvoll die weltberühmte 1000jährige Kukulkan-Pyramide, ein sowohl architektonisches als auch mathematisch-astronomisches Meisterwerk. Dicke Wälzer sind über diesen steinernen Kalender verfasst worden, bei dem jedes Detail voller Zahlensymbolik steckt. Das übrige Prozent waren unsere Kinder, die im Angesicht solch kultureller Höchstleistungen lieber „Der kleine Igel feiert Weihnachten“ lasen.
Für Maya-Pyramiden interessieren sie sich nur dann, wenn man sie besteigen darf. In Coba, einer unweit im dichten Busch gelegenen Maya-Stätte, sollte dies noch möglich sein. Also auf dorthin! Doch sobald wir vor der 42m hohen, aberwitzig steilen Pyramide Nohoch Mul („großer Berg“!) standen, war klar, dass es Tränen geben würde. (Unbedachterweise hatte ich daheim eine Pyramidenbesteigung versprochen). Der majestätische Anblick des kühnen Bauwerks wurde nämlich in den Schatten gestellt vom Mitleid erregenden Schauspiel Dutzender unbeholfener bis panischer Touristen, die teils auf Hinterteilen, teils auf Händen und Füßen wieder nach unten zu gelangen versuchten (aus Pietätsgründen hier kein Foto:).
Gottseidank ließen sich die Kleinen mit einer Fahrradrikscha-Fahrt vertrösten. (Coba war mit über 70qkm die ausgedehnteste Maya-Stadt überhaupt, weshalb man dort zu Fuß nicht weit kommt.) Außerdem gab es ja noch jede Menge niedrigerer Maya-Bauwerke, die sich prima als Abenteuerspielplatz eigneten.
Von diesen uralten Städten ging es in eine recht moderne: Merida, das uns mit Verkehrschaos, 900000 offenbar omnipräsenten Einwohnern und 33 Grad erstmal einen Schock versetzte. Erst kurz vor Sonnenuntergang wagten wir uns aus den kühlen Fluten unseres Hotelpools wieder in die nun auch etwas kühleren Straßen hinaus und staunten nicht schlecht: Die abgasgeplagte Hauptstadt Yucatans hatte sich in eine Schöne der Nacht verwandelt! Rund um den prächtigen Zocalo waren alle Straßen für den Verkehr gesperrt worden, nur noch Pferdekutschen rumpelten zwischen den auf einmal sichtbar gewordenen wunderbaren Kolonialgebäuden hindurch. Vor allem aber tobte das pralle mexikanische Leben auf einem riesigen Straßenfest: Tanzdarbietungen an jeder Ecke, Hunderte leckerer Essenstände, Flohmärkte, Lichtershows an den Fassaden, Mariachi-Bands in den Straßen….
Jetzt fiel mir wieder ein, warum ich nach Merida wollte: Dieses Festival yucatekischer Lebensfreude findet nämlich -man höre und staune- jedes einzelne Wochenende statt, von Freitag bis Sonntag, das ganze Jahr, bei jedem Wetter! Im ganzen Land ist die Stadt für ihr kulturelles Angebot berühmt. Die Kinder waren glücklich (ich sage nur: Hüpfburg um 22 Uhr), und wir hatten an diesem Abend das Gefühl angekommen zu sein, mitten im mexikanischen Leben.
Geruhsamer wurde es dann im kleineren Campeche, einem mit UNESCO-Geldern pittoresk herausgeputzten Kolonialstädtchen. Wegen seiner Seeräuber-Vergangenheit ist es übrigens die einzige von einer Festungsmauer umgebene Stadt im ganzen Land. Außer dieser (begehbaren) Stadtmauer und den kunterbunten Fassaden gibts nicht viel zu sehen, doch wir erholten uns dort zwei Tage lang herrlich von den Abgasen und der Feierwut Meridas.
Noch ahnten wir nicht, dass uns der absolute Höhepunkt der bisherigen Reise unmittelbar bevorstand, als wir zu der 5stündigen Fahrt nach Palenque aufbrachen.
Alle bisherigen Maya-Stätten hatten uns tief beeindruckt als Überreste einer Ehrfurcht gebietenden, auf geheimnisvolle Weise untergegangenen Hochkultur. Doch diese hier -Palenque- liegt zudem in tiefstem Urwald und produziert bis zum heutigen Tage archäologische Sensationen.
Als wir an einem regnerischen Morgen in der Maya-Stadt eintrafen, dampfte der Dschungel. Dicke Nebelschwaden umflossen die Ruinen. Noch gewaltiger als die imposanten Bauten selbst, dominieren die Berghänge voll sattgrüner Urwaldriesen die Szenerie dieser versunkenen Stadt. Eine magische Stimmung und ein Anblick, der Gänsehaut verursacht: eine mächtige Metropole, die vor über 1000 Jahren vom Dschungel verschlungen und ihm erst in jüngster Zeit gewaltsam wieder entrissen wurde.
Dabei ist das, was sich dem staunenden Besucher heute darbietet, nur ein Bruchteil (man schätzt 5 – 10%) dessen, was noch im dichten Grün des Urwaldes verborgen liegt. Welch ein El Dorado für Archäologen, die hier noch auf Jahre hinaus mit spektakulären Funden rechnen dürfen.
So gelangte ein Mexikaner vor einigen Jahrzehnten zu Weltruhm, als er nach jahrelangen Grabungen tief im Inneren der „Pyramide der Inschriften“ das kolossale Grab von Pacal entdeckte, dem wichtigsten König der Palenque-Dynastie. Seit dem 7. Jahrhundert ruhte er dort unentdeckt unter einer kostbaren Jademaske und einer tonnenschweren Grabplatte!
1994 folgte dann die zweite archäologische Sensation: In der Nachbarpyramide stieß man am Ende eines verdeckten Gangs auf einen weiteren gewaltigen Steinsarkophag, in dem sich das 1200 Jahre alte Skelett einer Frau befand, die so genannte „Rote Königin“. (Ganz Palenque war einmal in Zinnoberrot angestrichen.)
Von solchen Geschichten ließen sich diesmal auch die Kinder faszinieren. Die geheimnisvolle Urwald-Atmosphäre stachelte zusätzlich ihre Fantasie an, so dass sie bald als kleine Hobby-Archäologen auf der Suche nach weiteren toten Königen durch die Ruinen streiften.
Unfassbar, wie in solch widriger Natur und extremem Klima eine derartige Hochkultur erblühen konnte. Die Saunaschwüle Palenques ist schon frühmorgens kaum zu ertragen, und in unseren zwei Tagen dort gab es genau eine halbe Stunde (in der unsere Fotos entstanden) ohne sintflutartigen Regen. Und das in der Trockenzeit! Die Kinder planschten im strömenden Regen stundenlang im Pool, ohne sich zu erkälten. Also fuhren wir auch mit Badesachen im Gepäck zum „Misol-Ha“, einem gewaltigen Wasserfall, unter dem man aber wunderbar schwimmen können sollte. Doch die sonst so idyllischen Badebecken hatten sich in ein tobendes Inferno schlammbrauner Wasserfluten verwandelt. Wie gesagt, es war Trockenzeit.
Dennoch oder (gerade deshalb) hinterließ Palenque den bleibendsten Eindruck der letzten drei Wochen. Sowohl die wilde, grandiose Natur hier in Chiapas als auch die mystische versunkene Stadt sind ein Muss für jeden Mexiko-Reisenden.
Den Regen ließen wir jedoch gern hinter uns, als wir uns auf die abenteuerliche Fahrt hinauf ins 2000m hoch gelegene San Cristobal machten. Vom schwülen Regenwald in die kühle, sonnige Bergluft in „nur“ 4 Stunden, wobei „nur“ hier mit Vorsicht zu genießen ist. Mehr darüber und wie wir die Weihnachtszeit im mexikanischen „Indianerland“ verbrachten, dann im nächsten Beitrag.